Javascript Menu by Deluxe-Menu.com
Chemie für Quereinsteiger - Band 2 - Nichtmetall-Atome: Verknüpfung zu Molekülen und Gittern
6.5 Isomerie

Methoden zur Aufklärung der Struktur von Molekülen sind erst in diesem Jahrhundert verfügbar geworden, seit von Laue im Jahr 1912 die Röntgenstrukturanalyse entdeckt hat. In früheren Zeiten mußte zur Information einer Substanz deshalb das Summensymbol oftmals genügen. Wie wir aber bereits mehrmals gesehen haben, können gleiche Atomsorten in gleicher Anzahl zu unterschiedlichen Strukturen verknüpft und damit verschiedene Substanzen erhalten werden. Das ist auch bereits mit nur einer Atomsorte möglich, wenn wir an Diamant und Graphit denken oder an die verschiedenen Phosphor-Modifikationen.

(SO3)3 als Ring und (SO3)n als Kette, (PNCl2)3 als Ring und (PNCl2)n als Kette, (BN)n als ebene Fläche und (BN)n als gewellte Wabenstruktur konnten früher zwar aufgrund verschiedener Eigenschaften unterschieden werden, aber es war nicht verständlich, daß zwei unterschiedlichen Substanzen das gleiche Symbol zugeordnet werden mußte. Unterschiedliche Substanzen mit gleichem Summensymbol, das gleiche Atomanzahlen derselben Atomarten ausdrückt, wurden als Isomere bezeichnet (griech: iso - gleich; meros - Anteil).

Wenn man von der Struktur der Moleküle ausgeht, werden hauptsächlich zwei Strukturmerkmale besonders herausgehoben, anhand derer man mit gleichem Atomangebot, also mit gleicher Anzahl von verschiedenen Atomen, zu unter-schiedlichen Konstruktionen gelangen kann.

1. Zwei Moleküle, die aus der gleichen Anzahl gleicher Atome zusammengesetzt sind, können unterschiedliche Verknüpfungen der Atome aufweisen: so können im C2H4Cl2-Molekül die beiden Cl-Atome an einem C-Atom gebunden sein oder sie verteilen sich auf beide C-Atome des Moleküls (vgl. (1) in Abb. 6.21). Die Angaben welches Atom mit welchem gebunden ist, nennt man Konstitution. Wenn verschiedene Moleküle aus den gleichen Atomen in der gleichen Anzahl zusammengesetzt sind und verschiedene Konstitution besitzen, bezeichnet man diese als Konstitutionsisomere oder Strukturisomere (vgl. Abb. 6.21).

2. Zwei Moleküle, die aus der gleichen Anzahl gleicher Atome zusammengesetzt sind, können sich aber auch dann noch in der Struktur unterscheiden, wenn die gegenseitige Verknüpfung von Atom zu Atom gleich ist. In bestimmten Fällen kann es einen Unterschied bedeuten, ob man an ein Atom eines Moleküls ein weiteres Atom links oder rechts anknüpft oder die Reihenfolge der Verknüpfungen an einem Atom verändert. In welcher "Figur" die einzelnen Atome an einem bestimmten Atom angebracht sind, nennt man Konfiguration. Wenn zwei Moleküle gleich sind und sich ausschließlich in ihrer Konfiguration unterscheiden, nennt man sie Konfigurationsisomere oder Stereoisomere (vgl. Abb. 6.22).

Konfigurationsisomerie. Wir wollen diese Isomerieverhältnisse an einigen Beispielen verdeutlichen. Bei allen Molekülen, die uns bisher begegnet sind, hat uns nie die Frage interessiert, ob Atome oder Atomgruppen in ihren Bindungen gedreht werden können. Wenn wir aber die Frage stellen, ob ein Atom links, rechts, oben oder unten am Molekül gebunden ist, kann das nur einen Sinn ergeben, wenn das betrachtete Atom nicht einfach durch Drehung an beliebige Stellen gebracht werden kann.

Nehmen wir als Beispiel das CH2ClCH2Cl-Molekül (vgl.(2) in Abb. 6.21). Es besitzt zwischen den beiden C-Atomen eine Einfachbindung: solch eine Einfachbindung ist in sich drehbar, es liegt eine freie Drehbarkeit der Atomgruppen vor. Man kann durch Drehung der beiden CH2Cl-Atomgruppen gegeneinander erreichen, daß sich beide Cl-Atome gegenüberstehen, sich H-Atom und Cl-Atom gegenüberstehen, oder beliebige Winkel eingenommen werden (vgl. (1) in Abb. 6.22). Im Modell zweier mit den Spitzen ineinandergesteckter Tetraeder (vgl. (2) in Abb. 6.22) bedeutet das, daß sich die beiden parallelen Grundflächen gegeneinander drehen. So ist es möglich, jedes Atom der einen Grundfläche mit jedem Atom der Gegenfläche zur Deckung zu bringen. Wie wir die CH2Cl-Atomgruppen auch drehen: es resultiert jedesmal dasselbe Molekül, dieselbe Molekülsorte. Die verschiedenen Anordnungen ein und desselben Moleküls werden als Konforma-tionsisomere bezeichnet.

Im Gegensatz zur Einfachbindung ist eine Doppelbindung und eine Dreifachbindung nicht drehbar. Zwei Konstitutionsisomere C2H2Cl2 mit einer Doppelbindung zwischen den beiden C-Atomen fixieren ihre Atome vollständig: das Molekül ist flach, alle Bindungswinkel an den C-Atomen betragen 120° (vgl. (3) in Abb 6.22). An solch einem starren Molekül ist es tatsächlich unterschiedlich, ob man zwei Cl-Atome "oberhalb" der Bindungsachse oder ein Cl-Atom "oberhalb" und ein Cl-Atom “unterhalb” der Bindungsachse anordnet: es entstehen zwei verschiedene Moleküle, die zwei verschiedenen Substanzen entsprechen.

Auch zur Namensgebung orientiert man sich "diesseits" und "jenseits" der starren Bindungsachse. Greifen beide betrachteten Bindungspartner "diesseits" (lat.: cis ) der starren Bindungsachse an, wird die Konfiguration als Cis-Molekül bezeichnet. Greifen beide betrachteten Bindungspartner gegenüberliegend an, also "jenseits" (lat.: trans ), wird die Konfiguration als Trans-Molekül bezeichnet. Diese spezielle Konfigurationsisomerie heißt Cis-Trans-Isomerie, die Moleküle bzw. Substanzen heißen cis-Dichlorethen und trans-Dichlorethen.



Abb. 3.13

Abb. 6.22: Beispiele für Konformations- und Konfigurationsisomerie


Cis-Trans-Isomerie kann auch Moleküle unterscheiden, die als Oktaeder gebaut sind (vgl. (4) und (5) in Abb. 6.22). Nehmen wir an, ein S-Atom verknüpft vier F-Atome und zwei Cl-Atome. Je nach dem, ob die beiden Cl-Atome direkt an einer Kante benachbart sind oder sich diagonal, "jenseits", gegenüberstehen, erhält man zwei verschiedene Strukturen. Sie sind nicht zur Deckung zu bringen, wie man die Oktaeder auch drehen mag. Voraussetzung dazu ist jedoch, daß von den sechs oktaedrisch angeknüpften einzelnen Atomen vier von einer Sorte und zwei von anderer Sorte sein müssen, in unserem Beispiel vier F-Atome und zwei Cl-Atome. Mit drei F- und drei Cl-Atomen würde man lauter gleiche Moleküle erhalten. Sobald aber bei sechs oktaedrisch gebundenen Atomen sortenmäßig vier und zwei vorkommen, dann bezeichnet man die Struktur, bei der die zwei gleichen Atome auf der Kante nebeneinander angeordnet sind mit "cis-Form", sind die beiden gleichen Atome diagonal gegenüber angeordnet, dann bezeichnet man die Struktur als "trans-Form".

Spiegelbildisomerie. Es ist möglich, vier unterschiedliche Atome in zweierlei Weise an ein und dasselbe C-Atom tetraedrisch zu knüpfen, so daß man zwei unterschiedliche Strukturen erhält. Knüpfen wir als Beispiel an ein C-Atom ein H-Atom, ein F-Atom, ein Cl-Atom und ein Br-Atom (vgl. (1) in Abb. 6.23). Denken wir uns das H-Atom als eine Spitze des Tetraeders und besetzen gedanklich die gegenüberliegende Grundfläche mit den drei anderen Atomen. Dabei spielt nun die Reihenfolge eine große Rolle. Besetzen wir zunächst die Ecken der Dreiecksgrundfläche im Uhrzeigersinn mit den Atomen F, Cl, Br, ein zweites Mal gleichsinnig in der Reihenfolge F, Br, Cl: es entstehen verschiedene Atomanordnungen.

Die beiden Molekülstrukturen sind verschieden und durch kein Drehmanöver zur Deckung zu bringen. Die Strukturen der beiden verschiedenen Moleküle sehen jedoch aus wie Bild und Spiegelbild. Daher werden sie als Spiegelbildisomere bezeichnet (vgl. (1) in Abb. 6.23).

Wir müssen jedoch festhalten, daß sich nicht bei jedem Gegenstand das Spiegelbild von seinem Bild unterscheidet. Halten wir beispielsweise einen schlichten Würfel mit glatten, gleichen Flächen vor den Spiegel, dann unterscheidet sich die Struktur des Würfels im Spiegel nicht vom Originalwürfel. Oder wir spiegeln eine einfache, gleichmäßig runde Kerze: Würden wir das Spiegelbild räumlich ausschneiden, dann könnten wir es von der echten Kerze nicht unterscheiden.



Abb. 3.13

Abb. 6.23: Beispiele für die Spiegelbildisomerie

Spiegeln wir aber eine Hand, dann erscheint als Spiegelbild das Bild unserer anderen Hand (vgl. (2) in Abb. 6.23). Offensichtlich sind unsere beiden Hände verschieden in der Struktur: wie wir sie auch drehen und wenden mögen, sie sind von oben betrachtet nicht zur Deckung zu bringen. Wenn wir die rechte Hand vor den Spiegel halten und das Spiegelbild räumlich ausschneiden könnten, würden wir unsere linke Hand erhalten. Diese Unterscheidung in Bild und strukturverschiedenes Spiegelbild ist immer dann möglich, wenn der gespiegelte Gegenstand keine Symmetrieebene besitzt, wenn es keine Ebene gibt, in der man durch Zerschneiden zwei gleiche Hälften erhält. Das ist weder bei einer Hand noch bei einer Schraube möglich: Bild und Spiegelbild sind strukturverschieden und wir unterscheiden rechte Hand und linke Hand, in Analogie Rechtsschraube und Linksschraube. So werden auch unsere Moleküle als Linksmoleküle und Rechtsmoleküle bezeichnet, wenn sie keine Symmetrieebene besitzen und somit in der Struktur von Bild und Spiegelbild existieren können.

Welche Molekülstruktur allerdings als Rechtsform und welche als Linksform bezeichnet werden soll, das muß jeweils bei den entsprechenden Molekülklassen (das sind strukturverwandte Moleküle) abgesprochen werden. Die Information “links” und “rechts” bei den Molekülen wird durch die Anfangsbuchstaben der lateinischen Ausdrücke "dextra" (rechts) und "laevis" (links) gegeben. Demnach existieren unter den Molekülen ohne Symmetrieebene D-Moleküle und L-Moleküle. Wir sprechen von Spiegelbildisomerie.

Zunächst ist uns das Problem der Spiegelbildisomerie bei einem substituierten Methan-Tetraeder begegnet. Die gleichen Erscheinungen treten aber auch bei Oktaedern und anderen Molekülformen auf (vgl. (3) in Abb. 6.23). Nehmen wir an, wir könnten an ein S-Atom oktaedrisch drei F-Atome, ein Cl-Atom, ein Br-Atom und ein I-Atom knüpfen. Besetzen wir die obere Spitze des Oktaeders mit einem Cl-Atom, die unter Spitze mit einem F-Atom, so können wir in der dazwischen liegenden Quadratebene auf die Ecken noch zwei F-Atome, ein Br- und ein I-Atom verteilen. Besetzen wir im Uhrzeigersinn mit den Atomen F-F-Br-I, so erhalten wir das Spiegelbildisomere durch Besetzung im Gegenuhrzeigersinn F-F-Br-I.

Die eindeutige Information über die Struktur von L- und D- Molekülen anhand von Struktursymbolen auf dem flachen Papier ist nicht einfach. Am besten funktioniert beispielsweise die Projektion des Modells eines tetraedrisch geformten Moleküls, wenn man ein Atom als Tetraederspitze deklariert und anhand des Uhrzeigers die Reihenfolge der anderen Atome angibt (vgl. (1) in Abb. 6.23).

Ähnlich kann man auch einen Oktaeder projizieren. Die Spitzen werden durch bestimmte Atome festgelegt, in unserem Beispiel mit einem Cl- und einem F-Atom (vgl (3) in Abb. 6.23). Der Strukturunterschied ergibt sich dann aus der Angabe der Reihenfolge der geknüpften vier Atome in der Quadratebene im Uhrzeigersinn oder im Gegensinn, wie bereits ausgeführt.

Zusammenfassend sei darauf hingewiesen, daß sich Cis-Trans-Isomerie und Spiegelbildisomerie als spezielle Fälle der Konfigurationsisomerie oder der Stereoisomerie darstellen.