5.2.4.3 Weitere Eigenschaften
Abbildung 5.75: Modellvorstellungen für das Spaltlöten
Löten. Beim Löten bietet man zwei Metallflächen, die verbunden werden sollen, frei bewegliche Metall-Teilchen an, die sich aufgrund ihrer gegenseitigen Kraftwirkungen zu gemeinsamen Kristallen zusammensetzen können. Das Lot muß daher immer einen niedrigeren Schmelzpunkt besitzen als die zu bindenden Metalle (im Gegensatz zum Schweißen).
Die Bindekräfte zwischen den verschiedenen Metall-Atomen müssen stark sein. Das zeigt sich beim sogenannten "Spaltlöten". Liegen die beiden Metallflächen eng aneinander und bilden sie nur einen dünnen Spalt, dann werden die Lot-Teilchen durch die Kräfte der Metall-Atome in den Spalt hineingesogen - auch gegen die Schwerkraft der Erde (vgl. Abb. 5.75).
Je nach Aufgabenstellung werden hoch oder niedrig schmelzende reine Metalle oder Metallegierungen als Lot verwendet. Die Lote sind in der vom Handel angebotenen Palette je nach Schmelztemperaturen von 145°C bis 1600°C auswählbar. Lote, die eine Schmelztemperatur unter 500°C besitzen, werden als Weichlote bezeichnet, diejenigen mit Schmelztemperaturen über 500°C als Hartlote.
Legierungen besitzen in der Regel keine konstante Schmelztemperatur, sondern einen Schmelzbereich. Daher wird im allgemeinen der Schmelzbereich mit zur Kennzeichnung angegeben. Die für den Heimwerker bekanntesten Lote sind Pb/Sn/Sb-Legierungen, meistens ein kompliziertes, heterogenes Kristallgemisch von Mischkristallen, bei denen in diesem Beispiel drei Teilchenarten zusammengesetzt sind: Mischkristalle aus zwei Metallen und die Kristalle der reinen Metalle. Je nach Anteil einer Teilchensorte ergibt sich eine anderer Schmelzbereich. Tabelle 5.14 gibt einen Überblick über handelsübliche Lote.
Tabelle 5.14: Handelsübliche Lote, deren Zusammensetzung und Schmelzbereich
Korngröße. Die Eigenschaften einer Legierung hängen nicht allein von der Zusammensetzung und Konstruktion der einzelnen Kristalle, den Kristalliten oder "Körnern" ab, sondern auch davon, wie diese kleinen Kristalle zum großen Verband "zusammengefügt" sind. Man nennt die Struktur der einander zugeordneten Kristalle auch "Gefüge".
Ein Legierungskristall, der einen einzelnen Kristall darstellt, wird im Inneren wenig verspannt sein. Je mehr kleine Kristalle sich miteinander arrangieren müssen, desto mehr wird es zwangsmäßige Auslenkungen der Teilchen an den Nahtstellen, den Korngrenzen, geben: Je feiner kristallin ein Legierungsmaterial ist, desto verspannter und härter wird es also sein. Diese Tatsache gilt prinzipiell für alle kristallinen Materialien. Wie wir gesehen haben, können Legierungen oft aus verschiedenartigen Metallkristallen bestehen, sie können heterogen sein.
Die Eigenschaft des gesamten Metallstücks wird nun davon abhängen, welche Eigenschaften die verschiedenen Kristallite besitzen und in welcher Menge beide Kristallsorten vertreten sind. Wenn zwischen weichen Kristallen harte Kristalle eingebaut werden, dann wird das gesamte Metall mit steigender Menge an hartem Kristall härter. Bei der Beurteilung eines Materials ist also von entscheidender Bedeutung, ob das Gefüge homogen oder heterogen ist und welche Eigenschaften die einzelnen Kristallite besitzen.
Teilchendiffusion. Obwohl jedem Teilchen im festen Zustand sein Platz zugeordnet ist, kann sich ein Teilchen durch die vielseitigen Wärmeschwingungsvorgänge von "Platz zu Platz schwingen". Dadurch erreichen Teilchen unter Umständen günstigere Plätze, wo sie nicht mehr verspannt sind. Auf diese Weise ordnen sich viele kleine Kristallite zu einem großen Kristall um (vgl. (1) in Abb. 5.57).
Abbildung 5.76: Modellvorstellungen von der Kristallgefüge-Änderung durch Teilchendiffusion
Tabelle 5.15: Diffusionsgeschwindigkeiten von C-Atomen im Eisen
Die Teilchenwanderung oder ein Platztausch durch Wärmeschwingung kann aber auch auf größere Strecken möglich sein. Beispielsweise können bei Legierungen kleine Teilchen durch die Lücken hindurchschlüpfen, wenn zwei große Teilchen gerade auseinanderschwingen. Den Vorgang des Teilchenwanderns infolge der Wärmebewegung nennt man Diffision. Je höher die Temperatur ist, je stärker also die Teilchen gegeneinander schwingen, desto besser sind die Bedingungen für die Diffusion der Metall-Teilchen.
Die Wanderungsgeschwindigkeiten von Teilchen sind in vielen Kristallen gemessen worden. Als Beispiel zeigt Tabelle 5.15 die Strecken, die ein C-Atom im α-Eisen in Abhängigkeit der Temperatur zurücklegen kann. Bei Zimmertemperatur liegt die Wegstrecke für 10 Stunden bei 0,012 *m, bei 900°C ist sie ca. 106 mal so groß, nämlich bereits 5,1 mm.
Durch die vorgegebene Temperatur eines Materials kann man demnach steuern und begünstigen, daß und wie weit die Teilchen im Kristall diffundieren. Das ist der Grund, warum viele Materialien und Werkstücke längere Zeit in einem Ofen bei höherer Temperatur gelagert werden: sie werden "getempert". Beim Tempern erhalten die Teilchen Gelegenheit, sich innerhalb der Kristalle und zwischen den Kristalliten langsam umzugruppieren.
Abbildung 5.77: Mischkristallbildung im Fe/Ni-System bei verschiedenen Temperaturen
In der Technik macht man sich diesen Sachverhalt zunutze, wenn in Mischkristallen die Teilchen aus irgend einem Grund ungleichmäßig verteilt vorliegen. Diese Mischkristalle werden dann zum Tempern längere Zeit höheren Temperaturen ausgesetzt: viele Teilchen jeglicher Art wandern kreuz und quer durch den Kristall und verteilen sich völlig gleichmäßig (vgl. (2) in Abb. 5.76).
Häufige Fälle der Umgruppierung von Teilchen in Kristallen findet man bei der Bildung neuer Mischkristalle, wenn unvollständige Mischbarkeit mit Mischungslücke vorliegt. Als Beispiel wählen wir das System Fe/Ni. Wie bereits erwähnt, bildet γ-Eisen mit Nickel eine lückenlose Mischkristallreihe bei Temperaturen über 911°C. Bei niedrigeren Temperaturen werden zwei Mischkristalle gebildet: Der kubisch innenzentrierte α-Fe/Ni-Mischkristall und der kubisch flächenzentrierte γ-Fe/Ni-Mischkristall: entsprechende Konzentrationsbänder für 600°C und 1000°C gibt Abbildung 5.77 wieder.
Gedanklich wollen wir bei 1000°C einen Mischkristall bauen, der 12 Atom% Ni und 88 Atom% Fe enthält. Solange wir ihn bei der Temperatur von 1000°C belassen, bleibt er stabil. Nun kühlen wir auf 600°C ab. Sofort werden die Fe-Atome im festen Kristall rebellisch, verspüren ihre α-Bauneigung und bauen Kristalle mit nur 5 Atom% Ni im kubisch innenzentrierten Gitter. Andere Fe-Atome bleiben im kubisch flächenzentrierten Gitter, streben aber Kristalle mit 19 Atom% Ni an.
Der bei 1000°C stabile Kristall existiert also bei 600°C nicht mehr: die Teilchen diffundieren während der Abkühlung so lange, bis die genannten neuen Kristalle gebildet worden sind. Das Modell in Abbildung 5.78 und die Symbolisierung in Bild 5.77 sollen die Verhältnisse verdeutlichen.
Abb. 5.78: Modellvorstellung für die Diffusion von Metall-Atomen in Fe/Ni-Mischkristallen
Zeichnung (1) stellt den Kristall bei einer Temperatur von 1000°C dar. Insgesamt sind 600 Teilchen symbolisiert, es liegen 72 schwarze Ni- und 528 weiße Fe-Kugeln vor. Zerlegt man die Fläche in sechs gleiche Quadrate, dann enthält jedes Quadrat 12 schwarze Ni- und 88 weiße Fe-Kugeln. Schwarze und weiße Kugeln sind über die gesamte Fläche gleichmäßig verteilt.
Zeichnung (2) zeigt symbolisch die Verteilung nach dem Temperaturwechsel auf 600 °C. Die Teilchen sind teilweise aus den Quadraten in (1) heraus in die benachbarten Quadrate hinein gewandert. Das Teilchenverhältnis wurde so gewählt, daß aus jedem zweiten Quadrat 7 schwarze Kugeln auswandern und dafür 7 weiße einwandern. Bei den anderen drei Quadraten wandern 7 weiße Kugeln aus und dafür 7 schwarze Kugeln ein. So ist es vorstellbar, daß durch Diffusion im Festkörper zwei andere, stabile Kristallsorten entstehen. Diese Umgruppierung können wir durch folgende Kurzinformation symbolisieren:
Es hat sich bewährt, die Zusammensetzung von Stoffen vor und nach der Teilchenumgruppierung anzugeben und durch einen Pfeil miteinander zu verbinden, die Pfeilspitze zeigt dabei immer zum "nachher". Dieses Reaktionssymbol wird so gewählt, daß die Anzahl der Teilchen, die sich umgruppieren, vorher und nachher die gleiche ist. In unserem Beispiel sind es 200 Teilchen.
Martensitumwandlung. Die Umwandlung von Austenit, dem γ-Fe/C Einlagerungsmischkristall, in Martensit ist eine Teilchenumgruppierung durch "Umklappen" - eine Wanderung oder Diffusion von Teilchen über größere Entfernungen ist nicht notwendig. Allerdings sind die C-Atome auf den Kanten oder Flächenmitten des α-Eisen-Gitters "eingeklemmt", insofern sind die Kristalle des Martensits metastabil (vgl. auch Abb. 5.46 und den Begleittext).
Nehmen wir an, Martensit sei durch schnelles Umklappen des Austenit-Gitters entstanden. Das kann man durch sehr schnelles Abkühlen des über 900 °C heißen Austenits erreichen: Man nennt diesen Vorgang "Abschrecken". Bei Raumtemperatur ist die Wärmeschwingung so gering und daher die Diffusionsgeschwindigkeit der C-Atome so klein, daß die C-Atome im Martensitgitter eingeklemmt bleiben, solange wir die Temperatur nicht erhöhen. Wenn wir den Martensit jedoch auf ca. 400 °C erwärmen, dann schwingen die einzelnen Atome schon ganz erheblich und die C-Atome beginnen aus dem Martensitgitter zu entfliehen. Aber wohin? Es gibt zwei Möglichkeiten.
1. Ein C-Atom wandert zwischen den Fe-Atomen hindurch, bis es zufällig auf ein anderes, ebenfalls wanderndes C-Atom trifft. Da sie beide gegenseitig starke Bindekräfte besitzen, verknüpfen sie sich. Sicher ist zu zweit die Diffusion schwierig, aber bald trifft das Paar ein drittes wanderndes C-Atom, das sich ebenfalls an die beiden bindet. Mit der Zeit wandern immer mehr C-Atome zu diesem Kohlenstoff-Kristallkeim. Wenn die Zuwanderung anhält, hat sich nach geraumer Zeit zwischen den Martensit- und α-Eisen-Mischkristallen ein stattlicher Kohlenstoffkristall, ein Graphitkristall, gebildet. Diese Umgruppierung geschieht natürlich nicht nur an einer einzigen Stelle, sondern an sehr vielen Stellen. Wenn man den Martensit also längere Zeit auf hoher Temperatur hält, dann entstehen aus dem Martensit zwei neue Kristallsorten: α-Fe/C-Mischkristalle (Ferrit) und Graphitkristalle (vgl. (1) in Abb. 5.79).
2. Ein C-Atom wandert und trifft zwischen den Fe-Atomen auf andere C-Atome, die sich gerade anschicken, zusammen mit Fe-Atomen einen Zementitkristall zu bauen: Martensitkristalle gruppieren sich um in Ferrit und Zementit, zwei neue Kristallsorten entstehen (vgl (2) in Abb. 5.79).
Abbildung 5.79: Schematische Darstellung zur Diffusion von C-Atomen in Fe/C-Mischkristallen
Die beiden zusammengewachsenen Kristallsorten Ferrit und Zementit werden als Perlit bezeichnet, Perlit ist also eine Bezeichnung für ein heterogenes Material. Auf welchem der beiden genannten Wege und in welche Kristallsorten sich der Martensit umgruppiert, hängt von den Konzentrations- und Temperaturbedingungen ab. In Stählen findet eine solche Umwandlung statt. Sie bewirkt, daß sich beim "Anlassen", also durch Erhitzen auf eine hohe Temperatur, der spröde Martensit im gewünschten Maße umgruppiert und damit zum Teil den weichen Ferrit bildet. Der Stahl wird daher während des "Anlassens" weicher: je nach Anlaßzeit können verschiedene Härten erzeugt werden.
Um die wichtigsten Substanzen und Strukturen im Bereich von Eisen und Stählen richtig zuordnen zu können, sei in Abbildung 5.80 eine entsprechende Übersicht gezeigt.
Abbildung 5.80: Übersicht über wichtige Substanzen und Strukturen im Bereich von Eisen und Fe/C-Legierungen