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Chemie für Quereinsteiger - Band 2 - Strukturen der Metalle und Legierungen - Verknüpfung unterschiedlicher Metall-Atome
5.2.1 Maßgebende Größen für die Gitterkonstruktion

Die Gitterkonstruktion wird besonders durch zwei Faktoren beeinflußt: durch die Größe der unterschiedlichen Teilchen und durch deren Bindekräfte.

Größenverhältnis der Teilchen. Von besonderer Bedeutung ist das Größenverhältnis der unterschiedlichen Bausteinsorten. Völlig gleiche Größen erlauben von der Geometrie her eine einfache Konstruktion wie mit einer einzigen Bausteinsorte. Allerdings ergeben bereits Abweichungen der Teilchenradien ab 10 - 15 % völlig wellige Schichten, wenn wir etwa eine dichteste Kugelpackung bauen wollten: eine gleichmäßige Schichtung ist dann nicht mehr möglich (vgl. 5.28).


Abb. 3.13

Abbildung 5.28: Modellvorstellung für "wellige Schichten"


Abb. 3.13

Tabelle 5.7: Zusammenhang von Radienverhältnis und Koordinationspolyeder in Packungen zweier Kugelsorten (r2 ist der Radius der großen Kugeln, die den Polyeder aufbauen,
r1 ist der Radius der kleinen Kugeln, die eingelagert werden sollen)


Häufig finden wir in Kugelpackungen die bereits erwähnten Hohlräume Tetraederlücke, Oktaederlücke und kubische Lücke, die in der angegebenen Reihenfolge größer werden. Die absolute Ausdehnung der Lücken ist natürlich von der Größe der lückenbildenden Kugeln abhängig: je größer diese Atome, desto größer sind die Lücken. Das Verhältnis des Radius der in die Lücke einzuschließenden Kugel zum Radius der lückenbildenden Kugel ist jedoch durch die Geometrie gegeben. Entsprechende Zusammenhänge zeigt Tabelle 5.7.

Das Radienverhältnis 0,22 von kleiner zu großer Kugel bedeutet, daß der Durchmesser der kleinen Kugel nur 22 % vom Durchmesser der großen Kugel beträgt, daß die große Kugel im Durchmesser 4,54 mal so groß ist wie die kleine. Bei der Oktaederlücke dürfen die lückenbauenden Kugeln nur noch 2,43 mal so groß und bei der Würfellücke nurmehr 1,36 mal so groß sein. Von rein geometrischen Gesichtspunkten her und unabhängig von Unterschieden in den Bindekräften stehen uns hier viele Konstruktionsmöglichkeiten offen.

Stärke ungerichteter Bindekräfte. Im Gegensatz zur Konstruktion mit nur einer Teilchenart gestaltet sich die Frage nach den Bindekräften komplizierter, wenn verschiedene Teilchenarten zusammengebaut werden sollen.


Abb. 3.13

Abbildung 5.29: Modellvorstellungen für Kraftwirkungen verschiedener Teilchen

1. Bei einer Teilchenart können die Kraftwirkungen zwar stark oder schwach sein, sie sind aber bei allen Teilchen gleich. Beim Zusammenbau von zwei Teilchenarten muß man dagegen bereits drei verschiedene Kraftbeziehungen beachten (vgl. (1) in Abb. 5.29). Es können sich jeweils die beiden Teilchenarten selbst binden, also "weiß-weiß" oder "schwarz-schwarz", oder es können im Teilchenverband die unterschiedlichen Teilchenarten verknüpft sein, also "weiß-schwarz". Welche Teilchen sich in welchen Zahlenverhältnissen zusammensetzen lassen, hängt stark davon ab, wie groß diese drei verschiedenen Kraftwirkungen jeweils zueinander sind. Betrachten wir in Gedanken einige solcher Kombinationen.

2. Die drei unterschiedlichen Kraftbeziehungen beider Teilchenarten sind gleich stark (vgl. (2) in Abb. 5.29). Die beiden Teilchensorten setzen sich in jedem beliebigen Verhältnis zusammen. Sind beide Teilchenarten gleich groß, so bildet sich ein einheitlicher, homogener Kristall. Die Teilchenverteilung im Kristall ist unregelmäßig bzw. statistisch.

3. Die Bindekräfte zwischen gleichen Teilchen sind stark, die zwischen unterschied-lichen schwach (3). Gibt man gedanklich viele einzelne "schwarze und weiße Teilchen" zusammen, dann werden sich die schwarzen untereinander und die weißen untereinander verknüpfen. Wir erhalten einen Verband aus weißen Teilchen und einen anderen aus schwarzen Teilchen. Man beachte aber, daß die beiden Teilchenverbände durch die schwachen Bindekräfte zusammengeknüpft sind. Ein dem Modell entsprechender Kristall wäre in sich uneinheitlich, man sagt inhomogen oder heterogen. Der ganze Kristall besteht aus zwei Kristallsorten.

4. Die Bindekräfte zwischen gleichen Teilchen seien schwach, die zwischen unter-schiedlichen stark (4). Gibt man die verschiedenen Teilchen modellmäßig zusammen, dann werden sich die schwarzen und weißen Teilchen zu einem einzigen, einheitlichen Kristall zusammensetzen. Da die Anziehungskräfte der beiden Teilchenarten zueinander ausschlaggebend sind, wird sich ein Raummuster ergeben, bei dem sich die schwarzen Teilchen gleichmäßig mit weißen und die weißen Teilchen gleichmäßig mit schwarzen umgeben. Die Kombination der beiden Teilchenarten ist streng geordnet, der Kristall ist also homogen.

5. Die Bindekräfte zwischen den Teilchen einer Sorte sind stark, die zwischen denen der anderen Sorte mittelstark, so auch die zwischen verschiedenen Teilchen (5). Gibt man gleich viele schwarze und weiße Teilchen zusammen, die sich frei bewegen können, dann werden sich zunächst hauptsächlich die schwarzen Teilchen unterein-ander zusammensetzen. Ab und zu werden sie ein weißes Teilchen mit in ihren Verband aufnehmen, da die Bindekraft mittelstark ist. Die übrig bleibenden weißen Teilchen setzen sich dann zu einem Kristall zusammen und bauen noch einige schwarze Teilchen mit ein. Wir erhalten der Modellvorstellung entsprechend zwei Kristallsorten: Eine Sorte, die hauptsächlich aus schwarzen Teilchen besteht und einige weiße eingebaut hat, und eine andere Sorte, die hauptsächlich aus weißen Teilchen besteht und einige schwarze enthält. Der gesamte feste Kristall besteht wiederum aus zwei Sorten von Kristallen: Er ist heterogen.

Die Variationsmöglichkeiten werden fast unerschöpflich, wenn von drei, vier und noch mehreren Teilchenarten ausgegangen wird. Das Kräftespiel der einzelnen Teilchen untereinander wird dabei so kompliziert, daß man lieber nur auf das Experiment zurückgreift. Insofern ist das Zusammensetzen von Metall-Teilchen kompliziert und deshalb eine mühsame Laborarbeit. Die Fachleute, die sich dieser Aufgabe völlig wid-men, sind die Metallographen. Ihr Arbeitsgebiet, die Wissenschaft von den metalli-schen Werkstoffen, wird Metallographie genannt. Für spezielle Überlegungen und ausführlichere Darstellungen sind Lehrbücher der Metallographie zur Hand zu nehmen.

Bindekräfte und Oberflächenspannung. Es bleibt die Frage, ob Meßergebnisse aus dem Laboratorium Aussagen über die Kraftwirkungen einzelner unterschiedlicher Teilchenarten zulassen. Hinweise auf die unterschiedlichen Kraftwirkungen von Teilchen aufeinander haben wir aus den Schmelztemperaturen und Oberflächen-spannungen erhalten. Tatsächlich macht die Oberflächenspannung einer Schmelze, die aus zwei Teilchenarten besteht, auch Aussagen über die Bindekräfte der unterschiedlichen Teilchenarten. Überlegen wir uns das anhand der verschieden Kombinationsvarianten, die wir schon im vorhergehenden Abschnitt kennengelernt haben.

1. Die Kräfte beider Teilchenarten sind gleichstark (vgl. (2) in Abb. 5.29). Kräftemäßig gibt es also keinen Unterschied zwischen schwarzen und weißen Teilchen, die Schmelze - bestehend nur aus schwarzen Teilchen - muß die gleiche Oberflächenspannung besitzen wie die Schmelze, die nur aus weißen Teilchen besteht. In welchem Verhältnis man auch immer die schwarzen und weißen Teilchen mischt, die Oberflächenspannung wird sich nicht ändern.

Um das anschaulich zu machen, stellen wir uns im Gedankenexperiment verschiedene Mischungen nach Tabelle 5.8 her. Dazu gehen wir jeweils von 1000 Teilchen aus. Bei jeder Mischung wird die Oberflächenspannung gedanklich bestimmt. Unserer Voraussetzung nach besitzen alle Mischungen den gleichen Wert, nennen wir ihn A. Konstruieren wir uns ein Diagramm, in dem die Konzentration der Teilchen auf der Abszisse (Waagerechte) bzw. die Oberflächenspannung auf der Ordinate (Senkrechte) eingetragen wird, so erhalten wir (1) in Abbildung 5.30. Die Abhängigkeit der Oberflächenspannung von der Konzentration ist in diesem Falle eine Gerade, die zur Abszisse parallel verläuft.


Abb. 3.13

Tabelle 5.8: Gedankenexperimente zu Oberflächenspannungen von Schmelzen
(Bindekräfte der verschiedenen Teilchen gleich groß, vgl. (1) in Abb. 5.30)


Abb. 3.13

Abbildung 5.30: Schematische Diagramme für die Oberflächenspannung von Schmelzen zweier Teilchensorten (Gedankenexperiment siehe Text)
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Soweit die Massen der einzelnen Teilchenarten oder deren Volumen bekannt sind, kann natürlich die Konzentration von Teilchen in Massenprozent (Gew %) oder Volumenprozent (Vol %) umgerechnet werden. Der Chemiker bevorzugt allerdings Teilchenprozent. Der Leser eines Diagramms möge deshalb genau darauf achten, welche Konzentration jeweils angegeben ist, da sich die Form der Kurve als Folge einer anderen Konzentrationseinheit verschieben kann.

2. Die Bindekräfte zwischen gleichen Teilchen sind stark, die zwischen unterschiedlichen schwach. Die einzelnen reinen Metalle besitzen damit die gleiche Oberflächenspannung. Wenn die Kraftwirkungen zwischen weiß und schwarz aber sehr klein sind, werden mit fortschreitender Zugabe von weißen zu schwarzen Teilchen in der Schmelze die Bindekräfte zunächst sinken.

Wenn ebenso viele schwarze wie weiße Teilchen vorhanden sind, also bei 50 Teilchenprozent, muß die Oberflächenspannung am kleinsten sein. Bei weiterer Zugabe von weißen Teilchen wird die Oberflächenspannung wieder steigen, wir erhalten Diagramm (2) in Abbildung 5.30.

3. Die Bindekräfte zwischen gleichen Teilchen sind schwach, die zwischen unter-schiedlichen stark. Nehmen wir wiederum an, die Oberflächenspannungen der beiden reinen Schmelzen seien gleich, infolge kleiner Bindekräfte der Teilchen jedoch gering. Dann muß sich in der Schmelze bei Zugabe von immer mehr weißen Teilchen zu den schwarzen Teilchen die Kraftwirkung verstärken. Die Oberflächenspannung muß steigen, bis gleich viele schwarze und weiße Teilchen in der Schmelze vorhanden sind. Bei weiterer Zugabe von weißen Teilchen wird sie wieder sinken, wir erhalten Diagramm (3).

4. Die Bindekräfte zwischen den Teilchen einer Sorte sind stark, mittelstark die zwischen denen der anderen Sorte sowie auch die zwischen verschiedenen Teilchen. Die Annahme ist hier, daß sich die schwarzen Teilchen gegenseitig stark binden, stärker als die weißen. Weiß/weiß und weiß/schwarz ziehen sich demnach gegenseitig gleich stark an, aber weniger stark als schwarz/schwarz. Tauschen wir nun in einer Schmelze, die nur aus schwarzen Teilchen besteht, immer mehr schwarze gegen weiße Teilchen aus, dann wird die Oberflächenspannung regelmäßig um einen Teilbetrag kleiner, bis sie den Wert der Schmelze aus nur weißen Teilchen erreicht. Die Oberflächenspannung muß linear mit der Konzentration abnehmen, wir erhalten Diagramm (4) der Abbildung 5.30.

Die relative Stärke der Kraftwirkungen zweier unterschiedlicher Teilchenarten zu-einander, die beide ungerichtete Bindekräfte besitzen, können also auf diese Weise abgeschätzt werden. Durchläuft die Kurve der Oberflächenspannungen gegen die Konzentrationen ein Maximum, kann man auf starke Kräfte zwischen den beiden Teil-chenarten schließen. Sind die Kraftwirkungen der beiden Teilchenarten zueinander mindestens so groß wie die gegenseitigen Kraftwirkungen einer Teilchensorte, dann ergibt die Abhängigkeit der Oberflächenspannung von der Konzentration eine Gerade. Durchläuft die Kurve der Oberflächenspannung ein Minimum, dann sind die gegenseitigen Bindekräfte der unterschiedlichen Teilchensorten gering. Abbildung 5.31 zeigt echte Meßwerte einiger Teilchen-Paare und daraus resultierende Folgerungen für die Kraftwirkungen zwischen verschiedenen Metall-Atomen.



Abb. 3.13

Abbildung 5.31: Gemessene Oberflächenspannungen und daraus sich ergebende Kraftwirkungen zwischen verschiedenen Metall-Atomen

Größe der gerichteten Restbindekräfte der Teilchen. Der Aufbau eines Metallgitters wird umso besser gelingen, je gleichmäßiger die ungerichteten Bindekräfte um das Metall-Teilchen herum verteilt sind. Wie bereits in Abschnitt 3.4 aufgezeigt, besitzen allerdings auch Metall-Atome in geringem Maße gerichtete Restbindekräfte: Je mehr diese an einem Atom auftreten, desto schwieriger wird die Kombinationsfähigkeit mit Teilchen, die nur völlig ungerichtete Bindefähigkeiten aufweisen. Metall-Teilchen, die erhebliche gerichtete Bindungsanteile besitzen, sind beispielsweise die Aluminium- und die Zinn-Atome. Das werden wir bei der Kombination dieser Teilchen berücksichtigen müssen.