4.3 Benennung von speziellen Teilchenverbänden
Das Bauen mit Teilchen, die räumlich ungerichtete Bindekräfte
besitzen, ergeben völlig andere Konstruktionen als das Bauen mit
Teilchen, die räumlich gerichtete Bindekräfte betätigen.
Das hat auch zu eigenen Begriffsbildungen geführt.
Werden Teilchen, die räumlich ungerichtete Bindekräfte besitzen,
miteinander verknüpft, so ist charakteristisch, daß das
entsprechende Gebilde eigentlich nie "fertig" wird. Man kann
so viele Teilchen verbauen wie man will, an den Rändern und Begrenzungsflächen
liegen immer Teilchen mit ungenutzten Bindekräften. Wenn die Teilchen
nach einem regelmäßigen Plan geordnet zusammengebaut sind,
nennt man dies ein Raumgitter oder einfach Gitter. Solche Gitter sind
in Kristallen realisiert. Abbildung 4.1 verdeutlicht dies bildhaft
in der Fläche.
Für den Bau mit Teilchen, die räumlich gerichtete Bindefähigkeiten
besitzen, ist charakteristisch, daß relativ kleine Baugruppen
bereits bindungsmäßig abgesättigt sind. Solch einen
durch gerichtete Bindefähigkeiten abgeschlossenen Atomverband
nennt man Molekül. Beispiele zeigt Abbildung 4.2.
Abb. 4.1: Zweidimensionales Modell für ein Gitter
Abb. 4.2: Zweidimensionale Modelle für Moleküle
Die Begriffe Gitter und Molekül gehören wie die Begriffe
Atom und Ion dazu, Materialien mikroskopisch von ihrer Teilchenstruktur
her zu beschreiben. Zwei weitere Begriffe, die häufig in der
Chemie verwendet werden, jedoch zunächst mit den Teilchen nichts
zu tun haben, sind die Begriffe Element und Verbindung.
Diese Begriffe stammen aus einer Zeit, in der die Substanzen nur
makroskopisch in ihrer äußeren Erscheinung gesehen, empfunden
und beschrieben wurden. Erst in späteren Zeiten unterlegte man
diesen Begriffen eine Teilchenbedeutung: Eine Anhäufung von
verknüpften oder unverknüpften Grundbausteinen der gleichen
Atomsorte wird als chemisches Element bezeichnet. Eine Anhäufung
von verknüpften oder unverknüpften Molekülen, die
nur aus einer Atomsorte zusammengesetzt sind, kennzeichnet ebenfalls
ein Element. Die Umkehr dieses Satzes, ein Element sei eine Anhäufung
von verknüpften oder unverknüpften Molekülen, die
nur aus einer Atomsorte zusammengesetzt sind, ist dagegen falsch,
weil ein Element nicht immer Moleküle enthalten muß: Elemente
wie Eisen oder Kupfer bestehen aus entsprechenden Atomen. Der Umkehrsatz
ist deshalb falsch weil der Elementbegriff eben ursprünglich
nicht zur Teilchenbeschreibung erfunden worden ist.
Eine Verbindung besteht aus mindestens zwei Arten von Atomen oder
Ionen. Atome können zu Metallverbänden oder zu Molekülen
verknüpft sein, Ionen zu Ionenverbänden in entsprechenden
Salzstrukturen. Eine Anhäufung von verknüpften oder unverknüpften
Molekülen, die aus verschiedenen Atomsorten zusammengesetzt
sind, bezeichnet man also als Verbindung - diese Aussage ist richtig.
Der Umkehrsatz, die Verbindung bezeichne eine Anhäufung von
verknüpften oder unverknüpften Molekülen, die aus
verschiedenen Atomsorten zusammengesetzt sind, ist falsch: eine Verbindung
kann auch aus Ionen bestehen.
Zusammenfassend lassen sich folgende Informationen festlegen:
Ein Element ist aus Atomen genau einer Atomart aufgebaut, die Atome
können unverknüpft vorkommen, ungerichtet zu Gittern verknüpft
oder gerichtet zu Molekülen verknüpft sein.
Eine Verbindung ist aus Atomen oder Ionen mindestens zweier Arten
aufgebaut: Atome können zu Gittern oder Molekülen oder
auf andere Weise verbunden sein, Ionen liegen verknüpft in Gittern
oder unverknüpft vor.
Lieber Leser, liebe Leserin: dieses war der erste Streich, doch der
zweite folgt sogleich!
Nach Vorstellen unserer Konzeption im vorliegenden Band 1 werden
wir in einem zweiten Band beginnen, konkret Metall-Atome zu Metallverbänden
zu verknüpfen. Wir wollen zeigen, welche verschiedenen Möglichkeiten
es gibt, Metall-Atome einer einzigen Atomsorte zu elementaren Metallkristallen
zu kombinieren und Metall-Atome zweier und mehrerer Sorten zu Legierungskristallen
zu verbinden. Wir laden Sie zu diesem Ausflug in die faszinierende
Welt der Metalle und Legierungen herzlich ein!
In allen weiteren Bänden
sollen noch andere prinzipielle Möglichkeiten der Verknüpfung
von Teilchen zu großen
Teilchenaggregaten beschrieben werden. Diese Beschreibungen erfolgen
so genau, daß Sie die Teilchen in Gedanken verknüpfen
oder gar mit Kugeln und Klebstoff sich die entsprechenden Strukturmodelle
selbst bauen können. Ob Sie nur gedanklich oder tatsächlich
die Strukturen unterschiedlicher Stoffe herstellen - wir wünschen
Ihnen jedenfalls viel Spaß und viel Erfolg beim Quereinstieg
in die Chemie!