3.4 Gleichzeitig räumlich gerichtete und ungerichtete Bindekraft (Übergangstyp)
Wir müssen uns ins Gedächtnis zurückrufen, daß nicht
wir die gerichteten und ungerichteten Bindekräfte erfunden haben,
sondern daß sie an den vielen Teilchen der Substanzen beobachtet
worden sind. 100 Atomsorten und einige Millionen Substanzen: immer
versuchte man die Bindefähigkeit entweder in gerichtet oder ungerichtet
einzuteilen. Eine andere Klassifizierung haben wir nicht vorgesehen.
Darin liegt in jeder Naturwissenschaft eine Schwierigkeit, denn die
Natur richtet sich nicht nach unseren Klassifizierungswünschen.
Besonders die Botaniker und Zoologen haben es hier nicht einfach.
Wir benutzen wie der Botaniker häufig die Begriffe Baum und Strauch.
Das sind Begriffe, mit denen wir die Natur beschreiben. Bestimmt haben
wir aber schon vor einem Gewächs gestanden und überlegt,
ob es ein Baum oder Strauch sein soll. Für einen Baum zu klein
und buschig, für einen Strauch zu hoch und zu wenig buschig. Schließlich
entscheiden wir uns für den Begriff, dem das Gewächs am nächsten
ist. Was würden wir zur Blume Aster sagen, die -in einem Nationalpark
in Uganda tatsächlich beobachtet- plötzlich 15 Meter hoch
gewachsen ist?
Jeder von uns unterscheidet einen Vogel von einem Säugetier. Das
scheint ganz einfach. Ein Vogel besitzt Federn, einen Schnabel und
legt Eier. Ein Säugetier trägt meistens ein Fell, besitzt
ein Gebiß und säugt seine Jungen. Diese Einteilung hat sich
bewährt. Was soll nun ein Forscher tun, der plötzlich in
Australien das Schnabeltier entdeckt? Es besitzt ein Fell, einen Schnabel,
legt Eier und säugt die daraus ausschlüpfenden Jungen. Die
Systematik besitzt nur Säugetier oder Vogel. Man kann das Schnabeltier
demnach als Vogel oder Säugetier bezeichnen. Das kuriose Tier
ist an dieser Zweideutigkeit nicht schuld, sondern unsere Systematik,
in der wir das Tier als Übergangstyp bezeichnen müssen. Übergangstyp
heißt, es ist weder das eine noch das andere, sondern ein Zwischending.

Mit unserer Einteilung der Bindungsarten in räumlich ungerichtet
und räumlich gerichtet ist es letzten Endes ebenso. Viele Teilchen
besitzen beide Bindungsarten, sie sind in unserer Systematik Zwitter. Die
Modellzeichnung in Abbildung 3.5 versucht das zu veranschaulichen.
Dieses Modell zeigt Teilchen mit stark ungerichteter Bindekraft und
zwei bzw. drei schwach gerichteten Bindefähigkeiten. Da wir für
diesen Übergangszustand keinen eigenen Namen haben, bleiben wir bei
der Zweiersystematik räumlich gerichtet und räumlich ungerichtet.
Wir werden zunächst die Teilchensorten betrachten, die die reinen
Typen am besten verkörpern und unsere Konsequenzen für die Substanzen
daraus ziehen. Anschließend werden wir uns danach den Übergangstypen
zuwenden.